Freitag, 23. Januar 2009

3. Jubelkrüppel (ab 84)

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3.1. Gott tritt in mein Leben
Zum Ende der Schulzeit in Heidelberg beginne ich mich für Religion zu interessieren.

3.2. Heißer Herbst
Begründung Scheitern des Widerstands gegen NATO-Doppelbeschluss
Großdemos in Bonn
Heißer Herbst. Kalter Oktobermorgen. Menschenkette. An jeder Hand eine Million. Da können sie nicht dran vorbei. Sie können doch. Als ob nichts war.
Am 22. Oktober 1983 war die Großdemo in Bonn.
Bundestag stimmt für die Nachrüstung am 22. November 1983.
Mehr al s3 Millionne Menschen demonstrieren.

3.3. Ich werde Bahai
Bzw Interesse an Bahai. Da ich mich in Günther verknalle, der Bahai ist.

3.4. Pygmalion
Er 40, ich 20 - wie das so ist .Günther ist 40. Ich bin 20. Günther eröffnet mir eine neue Dimension. Nachgeholter Vater-Protest. Religion spielte keine Rolle bei meiner Erziehung. Obskur. Unseriös. Opium fürs Volk.

3.5. Ihr müsst draussen bleiben
Zu dieser faszinierenden neuen Welt haben Naturwissenschaftler keinen Zutritt. Meinen Eltern bleibt diese Welt verschlossen. Hier bin ich der King.

3.6. Out of Bahai
Interesse für Bahai erlischt zusammen mit Interesse an Günther. Trotzdem bleibt das Interesse für diese neue Welt der Religionen und Spiritualität.

3.7. Ein christlicher Kommunist
Mein christlicher Religionslehrer war Kommunist. Er prägt mich. Ernstzunehmende Religionsausübung hat meine gesellschaftspolitische Relevanz.

3.8. Zwangsläufig
Stichworte: feministische Theologie (Dorothee Sölle). Südamerikanische Befreiungstheologie (Ernesto Cardenal). Kirche von unten (Kirchentagsgekuschel). Schweigewochenende in Taize.
Am Ende der Schulzeit beschließe ich christliche Religionspädagogik in Freiburg zu studieren.

3.9. Nicht mit mir
Studiengang an der Fachhochschule. Bloß keine verstaubte Universität. Zu lebensfern. Erinnert mich an den Vater und sein begrenztes Weltbild. Wahl des Studienortes ist also wichtiger als die Beschäftigung mit Studieninhalten.

3.10. Dafür dogmatische Verkündigung
Unsanftes Erwachen. Hier wird die Verkündigung christlicher Dogmen gelehrt. Ein anderes Verständnis des Christentums wird nicht ernstgenommen. Die offizielle Lehrmeinung wird nicht hinterfragt. Amtskirche lehrt die Verkündigung ihrer Inhalte.

3.11. Out of FH
Das Studium bringt mich nicht weiter, vom Spaß einmal ganz abgesehen. Der Absolutheitsanspruch des Christentums wird zum immer größer werdenden Problem. Zwei Semester halte ich durch. Dann schmeiße ich das Studium hin und trete aus der Kirche aus.

3.12. Was kommt jetzt? Ich fühle mich befreit. Fühle mich keinem bestimmten Weltbild zugehörig. Dieses Weltbild heißt Esoterik. Ich finde mich wieder zwischen Großer Göttin, Hexerei und Schamanismus.

3.13. Also doch Uni Folgerichtig beginne ich das Studium der Ethnologie. Nebenfächer: Psychologie und Literatur. Ich studiere nicht auf Abschluss. Sondern just for fun. Daneben verbrachte ich mit meiner Friedensgruppe die Zeit damit, den Sender für den Piratensender "Radio Deutschland" für Grenze zum Elsass zu schmuggeln.

3.14. Frauenspezifisches Geisterjagen Vorlesungen über matrilineare schamanistische Systeme, geschlechterspezifische Linguistik und parapsychologische Phänomene bei Deutschlands berühmtestem Geisterjäger: Professor Bender.

3.15. Die beliebtesten Vorlesungen Bild fürs Medaillon: Vorlesung über halluzinogene Pilze. Das Seminar ist an der Freiburger Uni sehr beliebt bei allen einschlägig Verdächtigen und die ganze Szene trifft sich mit Notizblock und Bleistift.

3.16. Das erste Mal ChNN Im Schamanismus-Seminar sind Texte von Chögyal Namkhai Norbu Hausaufgabe. Ein hoher tibetischer Rinpoche. Zwischen Buddhismus und Bön. Interessiert mich sehr. Aber er lebt, lehrt und arbeitet in Italien. Italien ist zu weit weg.

3.17. Die Suche nach politischer Spiritualität Versuche immer noch, politisches Engagement und Spiritualität zu verbinden.

3.18. Die Luft ist raus Das Herz ist nicht mehr dabei. Kein Glaube mehr an die Wirksamkeit politischer Meinung. Die Friedensgruppen haben nicht mehr politische Ziele (z.B. Nachrüstung und Stationierung verhindern), sondern man bekämpft das "Trident in uns selbst". Versuche sich neu zu finden. Versuche sich umzuformulieren. Oft grotesk. Die Schau nach innen ist jetzt stärker dabei. Irgendwie ist die Luft raus. Noch kein Sterbeprozess. Aber irgendwie desorientiert. Was bleibt noch zu tun? - Anti-Atom und Wackersdorf.
Ökogruppen (Jutebeutel, 3. Welt-Läden), Frauengruppen, Friedensgruppen. Ein politisch korrektes Weltbild ist für mich sehr wichtig. Mache damit alles, was halt so üblich ist Mitte der 80er. Es gibt sie noch die Friedensbewegung aber irgendwie geschwächt. Kränkelnd. Das Strickzeug wird ausgepackt.

3.19. Ich wär so gern normal
Ich will das machen, was die anderen aus meinem Umfeld auch machen. Ich werde zum Normie.

3.20. Und auf den zweiten Blick...
Auf den ersten Blick ganz normales Studentenleben. Studium macht Spaß. Ich habe ein kleines Auto. Ich wohne in einer WG mit Leuten aus meiner Friedensgruppe. Ich gehe auf Partys. Spiele die fitte behinderte Powerfrau. Wie anstrengend das ist, dieses Bild aufrechtzuerhalten, bemerkt niemand. Oft bis zur physischen Erschöpfung.

3.21. Ich will so sein wie ihr
Maßband für mein Leben ist das Leben der Anderen. Der Normalos. Ich vergleiche mich. Ich beurteile mich. (siehe 2.5: das, was wirklich Leiden bringt) Denn das Gras ist immer grüner im anderen Tal. Bloß nicht auffallen. Bloß nicht anders sein. Versuchen zu kaschieren, Masken zu tragen. Die Fassade aufrecht erhalten. Egal wie anstrengend. Egal wie die eigenen Bedürfnisse wirklich sind. Falle zurück in ein Verhalten aus der Vor-Heidelberger Zeit.

3.22. Ohne Bezugsgruppe
Freiburg ist nicht Heidelberg. Meine Helden sind weit weg. Und mir fehlt meine Peer-Group. Keine positiven Rollenvorbilder. Die hätten mir gezeigt, wie man Freak unter Normies überlebt und trotzdem seine Würde behält! Zu Denis: Nur die Illusion der Aufrechterhaltung der Würde. Bild für Medaillon: Pausenvergleich von A. K. nur die Pause verlängert

3.23. Was bin ich?
So aber lehne ich mich ab. Ich kann nicht zu mir und meinem Körper stehen. Ich werde mir peinlich. Ich bin neidisch auf das Leben der anderen. Ich will haben, was die haben. Ich will können, was die können. Ich will so sein, wie die anderen sind. Mich interessiert nicht mehr, ob das auch das ist, was ich wirklich brauch. Ich weiß eigentlich gar nicht mehr, was meinen Bedürfnissen... Keiner merkt, wie anstrengend das für mich ist mitzuhalten. Ich spiele etwas, was ich nicht bin. Ich lebe ein Leben, was ich nicht habe.

3.24. Masken
Diktatur des Lächelns...Piri lächelt... und Piri lächelt...und Piri hasst sich selbst.- Und Piri lächelt.
Ich verberge mein wahres Gesicht, denn die Wirklichkeit wäre niemandem mehr zumutbar. Mitleidsblicke. Zum Schluß weggucken. (zu viel Realität für die Freitagsnacht- fun-Gesellschaft)
Seitdem lehne ich Masken ab. Besonders die Lächelmasken. (Siehe Kapitel Lehrer finden, Sogyal). Auch wenn es nichts mehr zu lächeln gibt-Piri lächelt.

Achtung Dennis, inzwischen unterscheide ich zwischen Lachen und Lächeln. Lachen ist für mich etwas Echtes. Das Lachen des Buddah. Lächeln hat für mich was krampfiges. Was falsches. Siehe smily bei skype-lächeln hinter vor gehaltener Hand. Japanisches Lächeln. Aufgesetztes Lächeln.

3.25 Jubelkrüppel

Immer nur lächeln, immer vergnügt
Hofnarrenprinzip.
Ich schlüpfe in eine Art Lächelgrimasse und bin doch grotten einsam. Freaks nennen solche Leute Jubelkrüppel.

3.26. Selbsthass
Ich will aber, dass sie mich mögen. Also spiele ich das Sonnenscheinchen. Den Hofnarren. Ich lache, wenn mir zum heulen zumute ist und hasse mich dafür. Ich verkaufe mich und hasse mich dafür.



copyright*piri schmidt

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