Freitag, 23. Januar 2009

7. die Geister, die ich rief (Sommer '87)

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[Kaum ist der Raum da für diese Möglichkeiten, da ist schon die nächste da, Denis.-Ich treffe Kandaris.]

7.1 Ich treffe Kandaris Wochen waren vergangen. Für einige Stunden konnte ich schon wieder am Stück im Rolli sitzen. Dann mußte ich mich wieder hinlegen um auszuruhen. Den Großteil des Tages verbrachte ich im Bett.
Meine Ambitionen vor dem Krankenhausaufenthalt für fremde Kulturen gab es immer noch. Bei einem Vortrag im Völkerkundemuseum traf ich Ajandres. Ajandres war Mawhok-Irokesin. Sie war die Schamanin ihres Tribes an der amerikanisch-kanadischen Grenze. Sie erzählte von dem tristen Alltag in ihrem Reservat. Viel Hunger, viel Alkohol, keine Jobs - das geballte soziale Elend.


Als Schamanin war sie nicht nur die Medizinfrau sondern auch die politische Ratgeberin ihres Stammes. Beim Aufstand führte sie die Mawhoks gegen die amerikanische Atom-Lobby. Die Friedhöfe der Natives wurden enteignet und damit wurde heiliges Land besetzt und vom Militär annektiert.


7.2 Liebe auf den ersten Blick Wow! Spiritualität und Politik und ein bisschen Winnetou- Romantik. Kein Wunder, dass ich sie mag.

Liebe auf den ersten Blick. Verständigung von Herz zu Herz. Denn Hörprobleme wegen zuviel Nebengeräuschen. Vortrag akustisch kaum verstanden. Das alles spielt keine Rolle.

Nach dem Vortrag kommt sie auf mich zu. Sie geht ganz vertraut mit mir und der Situation um. Überhaupt keine Berührugsängste. Wie eine alte Freundin beginnt sie mir von ihrem Leben zu erzählen.

Sie erzählt das, als sei es das Normalste auf der Welt. Sie erzählte das ganz und gar unspektakulär. Sie stand mit beiden Beinen auf dem Boden, eine kleine, rundliche Frau mit Hornbrille. Ich fasse Vertrauen zu ihr.

7.3 Kandaris und die Geister
Kandaris hatte zwei erwachsene Kinder. Sie lebte nur noch zeitweise bei ihrem Tribe. Sie switchte wie selbstverständlich zwischen der Geisterwelt und ihrem Tribe hin und her. Auch in der Geisterwelt war sie verheiratet mit einem sehr eifersüchtigen Mann. Auch dort hatte sie Kinder.
Sie würde bestimmt die Realität meines Nahtod- Erlebnisses nicht in Frage stellen. Sie würde mich nicht für verrückt halten. Was würden die richtigen Worte sein?

[Diese Selbstverständlichkeit war so sehr das, was ich jetzt brauchte. Das ist kein moralischer Nonnen-Vortrag. Sie bezeugte mit ihrem Leben die Gleichrangigkeit beider Ebenen. Aus dem Wechsel der Ebenen machte sie kein großes Drama.]

7.4 Bewertung meiner Krankheit

Das war ein ganz kleiner selbstverständlicher Schritt für sie. Sie wertete die Ebenen nicht. Sie bestätigte damit mein Erleben der letzten Monate. Sie lebte meine Schlussfolgerung.

Aber wenn es keine Wertigkeiten gab, wenn jede Beurteilung unsinnig war, wie sollte ich denn jetzt meine Krankheit bewerten?

Frage: Was ist Gesundheit, was ist Krankheit?

7.5 Kandaris will auf der Esowelle mitschwimmen
Aijandras war pragmatisch. Sie lebte in bitterster Armut. Der Geist-Mann hatte ihr darum geraten, nach Europa zu gehen. Auf der Esoterik-Welle mitzuschwimmen und dort ein bisschen Geld zu machen. In der New-Age-Bewegung boomte gerade das Interesse für Schamanismus. Das mit dem Geld- Machen erwähnt sie in ihrem öffentlichen Vortrag natürlich nicht.
Mir gegenüber schon.

wachsamer, überhaupt nicht heißt, dass sie Scharlatanerin war.
Die Leute bekamen ja auch etwas für ihr Geld.

7.6 Trance durch Tabak
Aijandra rauchte Tabak. Dadurch versetzte die sich in einen tranceähnlichen Zustand. In diesem Zustand hatte sie hellseherische Fähigkeiten. Die Kunden konnten Fragen stellen. Nach dem Rauchen sah Aijamdra in Visionen die Antworten. Die Antworten übersetzte Aijandra.

7.7 Was ist eine gute Seherin?
Die Leute bekamen tatsächlich etwas für ihr Geld. Denn Kandaris übersetzte die Antworten, die sie in Trance sah auf die Ebene, auf das Fassungsvermögen des Fragenden.

Die meisten Leute wollen wissen, wann sie heiraten oder ob sie im Beruf kündigen sollen. Sie beantwortet diese Fragen genauso gewissenhaft wie eine tiefgründige Frage. Sie bewertet die Fragen nicht. Sie bewertet das Niveau der Frage auch nicht. Jeder hat ein spezielles Fassungsvermögen.

Kandaris sagte mir, dass genau das eine gute Seherin ausmacht. Schwieriger als die Antworten in der Trance zu sehen, war es nämlich, die Antworten richtig zu vermitteln.

Kandaris hatte keine dogmatische Wahrheit oder Wirklichkeit auf dem Hintergrund sie die Fragen des Fragenden verstand. Sie wertete nicht.

Sie hielt es nicht für ihre Aufgabe eine bestimmte Sicht der Wirklichkeit zu vermitteln. Auch wenn sie bestimmt eine bestimmte Sicht hatte. Sie wollte nichts verbessern. Kein Bewußtsein erweitern oder die Leute auf die nächste Ebene transportieren.

Darum war sie für mich meine erste Lehrerin. Denis. Er muss auf das Fassungsvermögen seiner Schüler eingehen. Und auch nicht-erleuchtete Schüler ernstnehmen.

Eine gute Seherin erkennt das Niveau und das Fassungsvermögen des Fragenden. Sie antwortet auf seiner Ebene. Das ist die Kunst. Kandaris meint es wäre weitaus schwieriger die Antwort zu bekommen als in Trance die Antwort zu sehen.


Sie wollte den Fragenden also nicht dazu anregen, die "Wahrheit" hinter seinen Fragen zu erkennen. Sie wollte Sie wollte niemanden dazu anregen eine neue Entwicklungsstufe zu betreten. Ich bin nicht mal sicher, ob es für sie verschiedene Entwicklungsstufen gab. Jede Frage und jede Antwort waren gleich bedeutsam. So banal sie auch erscheinen mögen. Ihre Aufgabe war es nicht Bewusstsein zu verändern oder zu erweitern.

7.8 Zwei Fragen als Geschenk Ich möchte ihr so gerne vom Suizid erzählen. Sie kommt bestimmt nicht mit moralischen Wertungen. Ich suche schon nach einem Anfang, da bietet sie mir an mir zwei Fragen zu schenken. Ihre Preise sprengen nämlich ein bisschen meinen Rahmen.

7.9 Meine Fragen Meine Fragen waren: Was ist Gesundheit, was ist Krankheit? Bin ich krank? Werde ich gesund werden? Wie werde ich gesund werden?

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7.10 Ich hatte ihr nichts vom Nahtoderlebniserzählt. Die Situation war ein bisschen grotesk. Ich stehe im Rolli vor ihr, kann kaum sprechen und hören und sage im Grunde, dass ich mich nicht als krank wahrnehme.

Warum bin ich zurück gekommen? - Zum ersten Mal stelle ich diese Frage. Bin total erstaunt. Zum ersten Mal ist diese Frage wichtiger für mich, als wo war ich.

Ich hatte das Gefühl, dass es ein ganz wichtiger Bruch war, Denis. Zum ersten Mal nicht die Frage nach der genauen Definition einer Ticki-Ticki-Box. Und in der Frage schwingt irgendwie ein Tun mit, ein aktives Tun. Nicht Ups wo bin ich denn da gelandet.
1. das Gesundheit? Was ist Krankheit? Werde ich gesund werden?
2. Warum bin ich zuückgekommen? - Zum ersten Mal stelle ich mir diese Frage. Warum fragt sie nicht, wo ich gewesen bin.

zu 1: Krankheit ist, wenn jemand sagt, dass er krank ist, ist er krank. Wenn jemand sagt, er ist gesund, ist er gesund. Eine Frage der Benennung. Der Etikettierung. Wenn du im Rollstuhl vor mir stehst und kaum sprechen kannst und kaum hören kannst und mich fragst, hältst du mich für krank- dann bist du für mich gesund. Du wirst gesund sein und dich gesund fühlen, in dem Moment, in dem du das siehst. Für dein gesund werden kannst du folgendes tun: suche den Weg, der dir zeigt, dass du gesund bist.

zu 2: Sie raucht ihre Pfeife. Vorher hatte ich bewußt nichts vom Suizid erzählt. Und wolltest die Ebenen wechseln. Denn dein Vater war bei dir, es war noch nicht an der Zeit, die Ebenen zu wechseln. Du hast ja noch eine Aufgabe. Die Suche nach der Aufgabe ist ein Teil der Aufgabe. Darum werde ich dir nicht mehr sagen. Geh auf die Suche (Teil der Aufgabe, da der Weg der Suche später beschrieben wird.)

Gehe auf die Suche, wenn du weißt was du suchst, dann weißt du auch warum du zurück gekommen bist. Sie lachte. Übrigends weißt du dann auch wo du warst, Denis.

Heil sein bedeutet aber auch, dass alle wissen was Heilendes widerfährt. Der Lehrer wird also dein Heiler sein. Er hilft dir deine Aufgabe zu finden. Wenn du deine Aufgabe findest, bist du heil.

7.11 Der Witz des Jahrhunderts
Was für eine Aufgabe sollte ich in diesem kaputten Körper wohl haben. - Das war ja lachhaft.
[Der Gedanke sollte nochmal wichtig werden. Den Rest meines Lebens in diesem Körper muss ich eben nur irgenwie durchstehen.

7.12 Wegweiser gesucht Um das Chaos dieser Wirklichkeit zu strukturieren brauche ich Begleitung.

Der Wunsch nach einem Lehrer wird immer stärker. Ein Wegweiser und Führer auf dem spirituellen Pfad. Der meinen spirituellen Weg begleitet.

Beim Wünschen sind wir meistens schon mitten drin in der Erfüllung unserer Wünsche.
Wie leicht war es doch gewesen zu wissen was schwarz und weiß war. Was sollte ich denn nun tun mit der Erkenntnis, dass es gar kein schwarz und weiß gibt? Was sollte ich denn tun mit der Erkenntnis, dass alle Wirklichkeiten nur relativ sind? Wie denn durch diese relative Wirklichkeit kommen, in der nichts feststeht? - und mir wurde immer klarer, dass ich zumindest auf spiritueller Ebene jemand brauchte, der mein Wegweiser sein konnte. Jemanden, dem ich die Autorität geben konnte ein Stück weit für mich zu entscheiden, meinen Weg klar zu machen. Einen Führer. Einen Lotsen. Und am besten natürlich eine Frau.

[Da sah das sicher ganz so aus Denis, als ob ich da Geister gerufen hätte, die ich so schnell nicht mehr loswerden würde...]

Copyright*Piri Schmidt

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