Freitag, 23. Januar 2009

4. etwas Dunkles, Schweres kommt (Anfang Januar '87)

-->
4.1. Es wird schwerer Einschränkungen meines Körpers nehmen zu. In der Wohnung komme ich schlechter alleine zurecht. Nicht mehr alleine aufs Klo. Hinterher schweißgebadet. Auch Leistungsfähigkeit nimmt ab. Kann schließlich trotz aller Anstrengungen den Alltag nicht mehr alleine bewältigen.

4.2. Rund um die Uhr
Kein Fall für´s Pflegeheim. Darum Kostenübernahme für Haushaltshilfe vom Sozialamt für zwölf Stunden. Einkaufen, Kochen, Putzen durch Zivildienstleistende. Das ist billiger als Heim. Noch keine pflegerische Betreuung nötig.

4.3. Zivis von der AWO
Zivizentrale von der AWO (Arbeiterwohlfahrt). Keinen Einfluss auf Dienstpläne. Täglich wechselnde Zivis. Ab und zu sehe ich ein bekanntes Gesicht wieder.

4.4. Immerhin noch kein Pflegeheim
Zivis waren Jungens Anfang zwanzig. Zum ersten Mal ohne Mama. Überfordert mit Haushaltsführung, das hat bisher immer Mama für sie gemacht. (Beschert mir nächtelange Auseinandersetzungen mit der WG, da ich meine Aufgaben und Putzpläne nicht erfüllen kann/bzw. ich die an die Zivis delegieren muss)
4.5. Zivis und Haushaltsführung

Meine Hauptbeschäftigung war darum, den Jungs hinterherzuräumen. Nur so konnte ich verhindern, dass sie beim Putzen meine Wohnung unter Wasser setzten oder mir die noch feuchte Wäsche in den Schrank packten. Das war ein Fulltimejob. Bei dieser ständigen Schadensbegrenzung blieb mein eigentliches Leben, und das, was ich gerne gemacht hätte, auf der Strecke.

4.6. Zivis in der Uni
Bin bei der Durchführung meines Studiums auf Zivis angewiesen. Bringen mich zur Uni. (Sind pünktlich oder kommen überhaupt, wenn ich Glück habe) Schieben mich auf dem Unigelände. Schreiben die Vorlesungen mit. Schlafen oft während der Vorlesung ein. Schnarchen. Fallen vom Stuhl. Komillitonen kucken mitleidig Professor kuckt böse. Mir ist das furchtbar peinlich, den Zivis nicht.

4.7. Zivis sind Machos
Zivis waren ungefähr in meinem Alter. Die kleinen Machos denken sie wüßten alles. Kennen das Leben. Ihr männlicher Stolz verträgt es nicht Anweisungen von einer gleichaltrigen Frau zu bekommen.

4.8. Ist Zwangsdienst meine Schuld?
Zivildienst ist ein Ersatzdienst um dem Kriegsdienst mit der Waffe zu entgehen. Bleibt aber ein Zwangsdienst. Den Frust darüber lassen die Zivis an mir aus. Machen zum Beispiel oft krank.

4.9. Machtspiele
Konflikte sind vorprogrammiert. Ständig Machtspiele. Ohnmacht. Ich bin ihnen ausgeliefert. Bin wehrlos und sie wissen das.

4.10. Zivis als Job
Damit hatte ich meinen fulltime-job. Hälfte Hälfte probieren so zu sein wie die anderen. Was unmöglich ist. Andere Hälfte: Zivibetreuung.

4.11. Schauspiel durchhalten
Es kostet immer mehr Kraft der Umwelt die starke Behinderte vorzuspielen. Enorme Anstrengungen, um dieses Schaupiel durchzuhalten.

4.12. Politische Gruppen als Zuflucht
Immer noch am leichtesten fällt mir das in meinen diversen politischen Gruppen. Dort gelingt mir dieses Schein wahren am besten.

4.13. Tschernobyl
Mit einem Schlag ist auch das vorbei. Am 26. April '86 knallt es in Tschernobyl.

4.14. Politgruppensterben beginnt
Das Sterben meiner ganzen politischen Gruppen beginnt. Achtung! nur auf mich beziehen.
(der Klimawechsel im Makrokosmos Gesellschaft kommt erst im achten Kapitel). Innerhalb weniger wochen löst sich meine Friedensgruppe auf. Das große Gruppensterben beginnt. Ein richtiger Sog entsteht. Sogar meine Frauengruppe ist betroffen, auch sie löst sich auf. Ich verliere den Boden unter den Füßen.

4.15. Out of Uni, wegen den Zivis
Es wird immer schwieriger das Studium mit den Zivis durchzuführen. Eines Morgens finde ich auf die Frage warum ich mir das noch antue keine Antwort mehr. Ich beschließe das Studium aufzugeben. Habe mich zum größtenteil übers Studium definiert, als erfolgreich und gleichwertig mit den Normis. Das fehlt mir jetzt. Auch das wurde mir genommen. Für Denis: Habe noch nicht gelernt das als Loslaß Übung zu begreifen.

4.16. Perspektivlos
Schlittere in sowas wie eine Depression. Mir fehlt die Perspektive.

4.17. Getrennt von der Welt
Das Getrenntsein von dem Rest wird immer unüberbrückbarer.
(bezug Kapitel 6, Nonne)

4.18. Sommerdepression
Doch es war die Zeit der hellen Monate. Bis zum Spätsommer habe ich alles noch einigermaßen im Griff.

4.19. Herbst - und Winterdepression
Richtig übel wird es ab Oktober. Die Tage werden dunkel und kalt.

Das Jahresende rückt heran. Zeit für meine Jahresendzeitdepression. Mein Silvestertrauma bahnt sich an.

4.20. Rilke Gedicht
(Das Rilkegedicht Herbsttag fürs Medaillon
"Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleeen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.")


4.21 Jahresbilanz

Dann rückt auch noch das Jahresende heran. Das Jahresende, der Jahreswechsel sind so furchtbar überladen mit Bedeutung. Am Jahreswechsel muss Bilanz gezogen werden. Was hat das letzte Jahr gebracht?

4.22 Prognosen

Meine Bilanz sieht fatal aus. Düstere Prognosen. Angst vor der mysteriösen Krankheit. Angst vor immer größer werdenden Abhängigkeiten. Angst vor Pflegeheim.

4.23 Entschluss zum Suizid

Die Angst bohrt in mir. Beschliesse gleich ganz losszulassen. Entschluss zum Suizid.

Kurz nach Sylvester 87 schlucke ich eine Überdosis Schlaftabletten.

4.24 Respektlos gegenüber meiner Entscheidung

Eigentlich ausreichende Tablettenmenge plus viel Wodka.


4.25 Gegen meinen Willen
Eigentlich genug Zeit eingeplant. Aber meine Friedensgruppe WG kommt früher als verabredet vom Skilaufen zurück.

Ich werde in letzter Minute gefunden. Die bringen mich im Notarztwagen ins Krankenhaus. Ich bin bewußtlos.

4.26 Vorspiel

Merke von alldem nichts. Der Magen wird ausgepumt. Ich kann nicht selbstständig atmen, werde künstlich beatmet. Während dieser Zeit hört das Herz auf zu schlagen. Klinischer Tod.

Die Ärzte holen mich mit E-Schocks zurück. Aber ich bin mir immer sicher gewesen, dass ICH diese Umkehr gewählt habe. Ich hatte die Entscheidung. Ich hätte mich auch anders entscheiden können.

4.27 NDE

Diese Entscheidung ist der Fokus eines Nahtoderlebnisses (NDE), zwischen den Zeiten. Zwischen den Welten. Zwischen klinischem Tod und Wiederbelebung.

Die Schwere des Körpers geht fort. Alles ist nun leicht und friedlich, jetzt. Die Liebe ist so voll. Ich bin so klar. So bewusst. ICH BIN. Zwischenzustand. Zwischen Leben und Tod.

4.28 Bewußtsein das bewußt ist

Das Bild fürs Medaillon: Wenn ich eine Kette hätte aus lauter Momenten, um Erinnerung festzuhalten...
Medaillons, Verdichtungen aus Zeit und Gefühl...
Dies wär das Kostbarste von allem:
Ich sehe ein helles klares Licht. Noch bin ich nicht in diesem Licht, aber nichts wünsche ich mir mehr, als dort zu sein.
Die Worte "Licht" und "Ich" sind falsch. Denn es gibt kein „ich“, „mich“, „Licht“ dort mehr. Eigentlich gibt es auch kein Hier und Dort mehr. Es ist nur noch Bewusstsein. Ich bin reine Bewusstheit.
Und eigentlich ... „sehe“ ich das Licht auch nicht, ich fühle es. Ich bin umgeben von einem Zustand unendlicher Liebe.
Ich weiß um die Gegenwart meines Vaters. Er empfängt mich und begleitet mich. Ich sehe ihn nicht im herkömmlichen Sinne. Er ist mir bewusst. Ich höre eine Stimme. Doch mein Vater ist es nicht.
Die Stimme fragt, ob ich umkehren will. Die Worte "Hören" und "Fragen" sind falsch. Ich höre diese Frage nicht. Ich fühle diese Frage. Ich BIN die Frage. Und ich BIN die Antwort. Ich bin der Sinn der Worte. Ich bin die Energie der Frage und die Energie der Antwort. Ich BIN die Antwort.
Die Antwort kommt sofort.
Ohne zu zögern entscheide ich mich zur Umkehr.

4.29 MEINE Entscheidung zur Umkehr

Ohne Zögern entschied ich mich dazu umzukehren: Ich sterbe. Ich beschließe aufzuwachen. Die Situation ist mir völlig klar. Ich weiß, was jetzt geschehen wird. Für Denis: auf einmal ist die Schwere des Körpers wieder da und ich fühle seine Enge. Dieser Begrenztheit in diesem plumpen Körper gehöre ich nicht. Dort bin ich nicht. Ich bin dieses klare Licht, das bewusst war. Dort will ich sein

4.30 sprachlos

Das Bild fürs Medallion: Sehr junger Pfleger
Ein Bild fürs Medaillon:
Noch bevor ich die Augen wieder öffne weiß ich, was geschehen ist, dass ich im Krankenhaus bin und wo ich klingeln muß damit eine Schwester kommt. Als ich um Hilfe klingel kommt ein junger Pfleger herein. Nach einer Weile schaut er mich verlegen an und sagt: "Kann ich dich mal was fragen, wo warst du? Du hast die ganz Zeit gelächelt!" Die Frage bleibt im Raum stehen. Ich bin zu schwach zum Antworten. Aber auch wenn ich könnte würde ich ihn nicht an meiner Erfahrung teilhaben lassen. Was sollte ich ihm denn auch sagen? Das mein Bewußtsein mit mir gesprochen hat? - na prima, dann stecken die mich gleich in die nächste Klapse. Das ist der Moment an dem ich mir sicher bin, dass ich niemals mein Erlebnis mit jemandem teilen werde.

4.31 Wut, Verwirrung, Selbsthass
Vom ersten Moment an ist da Wut. Wut auf die Ärzte. Wut und Haß auf die anderen sind eigentlich Selbsthaß. Wie habe ich nur so blöd sein können!!!!! Ich hatte doch schon alles hinter mir.

4.32 Fazit : Ender der Fahnenstange

Festhalten: Erstmal ist da nur Verwirrung. Meine Verwirrung ist groß. Etwas Dunkles Schweres ist gekommen.

Achtung! Erst im nächsten Kapitel wird meine Erklärungsnot erkennbar. Nicht greifbare Verwirrung und Wut. Nur Gefühl. Noch keine Begründung für das Gefühl.

4. 33 Im Rückblick

Im nachinein würde ich sagen. In diesem Moment begann ich nach  einem Konzept zu suchen das meine Verwirrung eindämmt

Copyright Piri Schmidt

Keine Kommentare: